15.09.2010

Deutschlandkonzerte, neue Rezensionen

Roberto Paternostro und das Israel Chamber Orchestra gastierten Anfang November 2010 in Deutschland: in der Liederhalle Stuttgart (2.11.) und der Kölner Philharmonie (4.11.) mit Werken von Ludwig van Beethoven, u.a. dem 4. Klavierkonzert mit Solistin Elena Bashkirova.

Heinz Sichrovsky über israelische Musiker auf Tour


Wien, ein Planet in Oligarchenhand. Wie Wien einen Könner verschläft
News

[...] am selbst ernannten Mittelpunkt des Sonnensystems zieht manches vorbei. Zum Beispiel war kürzlich das Israel Chamber Orchestra unter seinem österreichischen Chefdirigenten Roberto Paternostro auf Europa-Tournee. Paternostro [...] bringt seinen Klangkörper im Sommer nach Bayreuth und spielt dort das "Siegfried-Idyll", obwohl Wagner in Israel geächtet ist. Die Aufmerksamkeit, die sich bis in die "New York Times" und auf die Titelseiten der "Süddeutschen" erstreckte, war geweckt. Und, siehe da: Die alarmierten Kritiker lobten glänzende Konzerte. Nun gastierte das brillante Ensemble zwar überzeugend beim Eisenstädter Haydn-Festival und beim Linzer Brucknerfest. Wien aber erreichte es nicht. Der maßgebliche Operndirigent Paternostro, der einen tollen "Ring" eingespielt hat [wurde] von Fachleuten vergebens für die schmerzhaft vakante Stelle des Musikdirektors der Volksoper favorisiert. Ihm schadet es nicht, uns entgeht etwas.


Rezensionen



Heftige Attacken in luftiger Umgebung


Konzert Das Israel Chamber Orchestra spielt in Stuttgart Beethoven - und hat im Stillen Wagner geprobt.
Stuttgarter Zeitung, Jürgen Hartmann

Das Licht auf dem Podium erstrahlt, dunkel gekleidete Damen und Herren erscheinen mit ihren Instrumenten, man stimmt sich ein, der Saal wird dunkel, ein Mann mit Taktstock tritt auf, die Musik beginnt. Ein ganz normales Konzert, hier mit dem Israel Chamber Orchestra und seinem Chefdirigenten Roberto Paternostro im sehr gut besuchten Beethovensaal. Ganz normal? Im Prinzip ja, möchte man im Stile Radio Eriwans sagen. Aber doch auch wieder nicht. Denn das Beethoven-Programm war nur eine Seite der Medaille. Auf der anderen steht Paternostros in Israel höchst umstrittener Plan, im kommenden Sommer in unmittelbarer Nähe zu den Bayreuther Festspielen mit dem Israel Chamber Orchestra das ,,Siegfried-Idyll" aufzuführen. Der Dirigent bestätigte auf Nachfrage ausdrücklich, dass das Konzert stattfinden werde. Die Zeit sei reif für diesen Brückenschlag, sagt der österreichische Dirigent und musste den Kritikern doch versprechen, Wagner in Israel nicht zu proben, geschweige denn aufzuführen. Es sei eben noch immer ,,schrecklich schwer", den ,,symbolischen Gehalt" einer Wagner-Aufführung durch israelische Musiker zu überwinden, sagte Paternostro in Stuttgart.
Die Mitglieder des Israel Chamber Orchestra haben dies getan. Paternostro hat im Umfeld des Stuttgarter Konzerts am Dienstag - ,,hinter verschlossenen Türen", wie er erklärt - erstmals das ,,Siegfried-Idyll" geprobt, und er weiß, was er sagt, wenn er von dem ,,großen Spaß" erzählt, den alle dabei gehabt hätten.
Vielleicht hat diese versteckte Sensation auch die abendliche Beethoven-Interpretation beflügelt. Paternostro verlangt seinem Orchester in der ,,Prometheus"-Ouvertüre, dem vierten Klavierkonzert sowie der zweiten Sinfonie einen druckvollen und doch auch eleganten Beethoven ab, mit blitzenden Stimmungswechseln, harten Schnitten und einem disparaten Ausdrucksspektrum. Die kleine Streicherbesetzung des Israel Chamber Orchestra erlaubt dem Ohr, schöne Bläsersoli sowie heftige Blechbewegungen wahrzunehmen und dabei zu erkennen, wie modern Beethovens Konzeptionen zu seiner Zeit gewesen sein müssen. Dies gilt vor allem für das vierte Klavierkonzert, das zwischen Lyrik und Furor bestürzend schwankt und die hergebrachten Parameter für die einzelnen Sätze gehörig verwirbelt. Als Solistin am Flügel fügt sich Elena Bashkirova mit grundsätzlich sanftem Zugriff, aber umso heftigeren Attacken in die luftige orchestrale Umgebung. So erzählerisch hört man insbesondere den zweiten Satz selten, in dem das Orchester immer wieder schroff in die Träumereien des Klaviers einbricht. Mit ihrer Schumann-Zugabe machte Bashkirova deutlich, wie sehr diese lyrischen Erfindungen Beethovens in die Zukunft gewirkt haben.
Das Beste gab"s zum Schluss: Spätestens im munteren Finale der ,,Zweiten" wurde endlich einmal deutlich, dass Beethovens frühe Sinfonien gar nicht so sehr auf Mozart, sondern vor allem auf Haydn zurückgreifen. Und überhaupt: dass bei Beethoven, wie ein nicht totzukriegendes Vorurteil behauptet, die Sinfonien mit der geraden Nummer die schlechteren seien - das stimmt nicht einmal im Prinzip.


Wie mit der Feder gezogen


Das Israel Chamber Orchestra in Kölns Philharmonie

Kölner Stadt-Anzeiger

Die Kontrapunkt-Konzerte werden traditionell von Künstlern aus den neuen Bundesländern und Osteuropa beschickt. Das Israel Chamber Orchestra, das jetzt mit seinem Leiter Roberto Paternostro kam, wirkt da wie ein Paradiesvogel. Das macht selbstredend nichts, entscheidend ist die Qualität. In Köln zeigten sich die Gäste gut, wenn auch nicht überragend disponiert. Das Orchester verfügt über einen schlanklapidaren, fokussierten Grundklang, der die weiche, kantable Phrasenformung nicht verhindert. Ganz klar, da sind Hochkaräter am Werk. Entsprechend kamen - unter Paternostros unaufgeregter Stabführung - Beethovens einleitende Prometheus- und Mozarts Figaro-Ouvertüre als Zugabe knackig, in den Geigen wie mit der Feder gezogen. Ein wunderbar agiles und doch beherrschtes Klangbild.
[...] Star des Abends war die Pianistin Elena Bashkirova, die Beethovens viertes Klavierkonzert mit natürlichem Tonfall, unaufdringlicher Herzlichkeit und Noblesse spielte. Die Zugabe - Schumanns "Des Abends" - zeigte sie als eine Interpretin, die die Poesie dieser Musik nicht in äußerlichen Gesten sucht, sondern in der genauen Auslotung miteinander kommunizierender Stimmen.

___

Probenfotos von Marion Koell
  • Bashkirovaf(c)basta 2005
  • Proben ICO7
  • Proben ICO3
  • Roberto Paternostro
  • Proben ICO6
  • Proben ICO5
  • Roberto Paternostro
  • Proben ICO4