2011.01.01
Die Zeit: Leitmotiv des Bösen
Ein Wiener in Tel Aviv: Roberto Paternostro, 53, Dirigent
Roberto Paternostro will seine israelischen Landsleute schockieren: Mit Wagner in Bayreuth
Ich gebe jedes Jahr an die hundert Konzerte. In Prag werde ich Verdi dirigieren, in Mailand Mozart und in Cincinnati Mendelssohn. Für Aufregung sorgt allein mein Konzert in Bayreuth: Ich werde dort mit dem israelischen Kammerorchester, das ich seit 2009 leite, unter anderem Richard Wagner spielen. Das ist ein Tabubruch, der mir schon alle möglichen Beschimpfungen eingebracht hat, zuletzt nannte mich die Jerusalem Post eine „nationale Schande“.
Natürlich verstehe ich, dass Menschen, die am Arm noch eine KZ-Nummer eintätowiert haben, mit dem Antisemiten Wagner nichts zu tun haben wollen. Meine Mutter hat die Nazizeit in Wien in einem Versteck überlebt. Den gelben Judenstern, den sie als Kind tragen musste, hat sie mir jüngst erst gezeigt. Viele ihrer Angehörigen sind im Holocaust verschwunden, meine Großeltern haben Theresienstadt überlebt. Ich kann also nachvollziehen, wenn jemand emotional reagiert, weder Wagner hören noch Deutsch sprechen möchte. Doch die Sache hat sich verselbständigt. Wagner wurde zu einem negativen Symbol, zum Leitmotiv des Bösen. Ich will dieses Tabu nun brechen – aus Liebe zu Wagner, zu Israel und zu Deutschland.
Also habe ich meine Musiker gefragt, ob sie bereit sind, mit mir nach Bayreuth zu reisen und dort Wagner aufzuführen. Nachdem dieser Vorschlag einstimmig angenommen wurde, probten wir nun in Stuttgart erstmals Wagner – hinter verschlossenen Türen, aber immerhin. Es war ein erhebendes Gefühl, als erstes israelisches Orchester auf deutschem Boden diese Musik zu spielen. Jetzt ist es wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis wir das auch in Israel tun werden. Dann wäre der Wagner-Boykott Geschichte.
Ich wurde mit Wagner sozialisiert. Im Alter von zehn Jahren ging ich als Musikgymnasiast zum ersten Mal in die Staatsoper und hörte die Götterdämmerung. Seither hat mich Wagner nicht mehr losgelassen. Im November wurde die erste Wagner-Gesellschaft in Israel ins Leben gerufen. Deren Gründer erzählte mir, sein Vater sei aus Deutschland mit nur einem einzigen Gepäckstück nach Palästina geflüchtet: einem Koffer voller Wagner-Platten.
Die Zeit, 30. Dezember 2010, S. 13
Aufgezeichnet von Ernst Schmiederer
Roberto Paternostro will seine israelischen Landsleute schockieren: Mit Wagner in Bayreuth
Ich gebe jedes Jahr an die hundert Konzerte. In Prag werde ich Verdi dirigieren, in Mailand Mozart und in Cincinnati Mendelssohn. Für Aufregung sorgt allein mein Konzert in Bayreuth: Ich werde dort mit dem israelischen Kammerorchester, das ich seit 2009 leite, unter anderem Richard Wagner spielen. Das ist ein Tabubruch, der mir schon alle möglichen Beschimpfungen eingebracht hat, zuletzt nannte mich die Jerusalem Post eine „nationale Schande“.
Natürlich verstehe ich, dass Menschen, die am Arm noch eine KZ-Nummer eintätowiert haben, mit dem Antisemiten Wagner nichts zu tun haben wollen. Meine Mutter hat die Nazizeit in Wien in einem Versteck überlebt. Den gelben Judenstern, den sie als Kind tragen musste, hat sie mir jüngst erst gezeigt. Viele ihrer Angehörigen sind im Holocaust verschwunden, meine Großeltern haben Theresienstadt überlebt. Ich kann also nachvollziehen, wenn jemand emotional reagiert, weder Wagner hören noch Deutsch sprechen möchte. Doch die Sache hat sich verselbständigt. Wagner wurde zu einem negativen Symbol, zum Leitmotiv des Bösen. Ich will dieses Tabu nun brechen – aus Liebe zu Wagner, zu Israel und zu Deutschland.
Also habe ich meine Musiker gefragt, ob sie bereit sind, mit mir nach Bayreuth zu reisen und dort Wagner aufzuführen. Nachdem dieser Vorschlag einstimmig angenommen wurde, probten wir nun in Stuttgart erstmals Wagner – hinter verschlossenen Türen, aber immerhin. Es war ein erhebendes Gefühl, als erstes israelisches Orchester auf deutschem Boden diese Musik zu spielen. Jetzt ist es wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis wir das auch in Israel tun werden. Dann wäre der Wagner-Boykott Geschichte.
Ich wurde mit Wagner sozialisiert. Im Alter von zehn Jahren ging ich als Musikgymnasiast zum ersten Mal in die Staatsoper und hörte die Götterdämmerung. Seither hat mich Wagner nicht mehr losgelassen. Im November wurde die erste Wagner-Gesellschaft in Israel ins Leben gerufen. Deren Gründer erzählte mir, sein Vater sei aus Deutschland mit nur einem einzigen Gepäckstück nach Palästina geflüchtet: einem Koffer voller Wagner-Platten.
Die Zeit, 30. Dezember 2010, S. 13
Aufgezeichnet von Ernst Schmiederer